Was fehlt: ein Second-Person-Action-Adventure

Was fehlt: ein Second-Person-Action-Adventure

Was fehlt.

Ich wünschte mir ein Action-Adventure à la The Last of Us, das grafische Virtuosität, berührende Immersion und bombastische Inszenierung gebührend vereinte. Ein erwachsenes Spiel, das kein Blatt vor den Mund nähme und ein realistisches Abbild der rauen Wirklichkeit zeichnete. So sauber wie dreckig, so sonnig wie düster, so erwärmend wie kühl. Gnadenlos, konsequent und menschlich; mit Wut, Hass und Gewalt, aber auch Freundschaft, Liebe und Intimität; mit Blut und Sperma.

Ein Spiel, das einem tiefsinnigen, komplexen und unter großem technischen, finanziellen und schöpferischen Aufwand produzierten cineastischen Erlebnis gliche – und statt aus der Third-Person- oder der First-Person-Perspektive ausnahmsweise einmal aus der erfrischend jungfräulich anmutenden Second-Person-Perspektive erzählt würde, also aus den Augen eines den Protagonisten begleitenden Weggefährten. Womit ich direkt sähe, hörte und empfände, wie meine Begleitung auf von mir ausgeübte Aktionen und Interaktionen mit der Umwelt reagierte. Und ich überdies erführe, wie diese begleitenden Person auf die interaktiv gestaltete Wahl meiner Worte erschauderte, erboste, erfreute oder auch erregte, einhergehend mit körperlichen Reflexen und Gesten.

Der Kniff läge darin, die sich mir anschließende Person auf Basis einer fortschrittlichen künstlichen Intelligenz nachvollziehbar und authentisch operieren zu lassen. Eine KI zu entwickeln, die auf Grundlage der mit dem Spiel einhergehenden Geschichte (Liebesdrama oder Apokalypse (wobei dies mitunter ein und dasselbe ist)) den Bewegungen meiner Spielfigur augenscheinliche Aufmerksamkeit schenkte, Handlungen und Erlebnisse beflissen kommentierte und bei irrationalem oder aggressiven Verhalten meinerseits durchaus innehielt, um mahnend auf mich einzureden oder sich gar schauderhaft abzuwenden. Womit die Chance bestünde, dass meine eigene Spielfigur vollends aus dem Sichtfeld der zweiten Person und damit aus dem meinigen verschwände oder gar als Mittel letzter Wahl zur Wahrung des allgemeinen Friedens niedergeknüppelt oder dahingemeuchelt würde – Game over.

Eingebettet in eine detailverliebte Spielewelt, in welcher ich als Glücksritter und Flaneur durch illustre Landschaften lustwandeln, Orte entdecken, NPCs treffen und mit allerlei Gesocks und Gerätschaft interagieren dürfte. Eine Welt, in der gefällte Entscheidungen direkte Einflussnahme auf Geschichte und Begleitung ausübten und ich somit die Konsequenzen meines Tuns aus erster Hand da zweiter Hand von dritter Hand initiiert ungefiltert miterlebte.

Nebst beflissener Begleiter-KI stellte die Steuerung meiner Spielfigur eine technische Kunst für sich dar; müsste sie doch fehlerhafte Steuerungskommandos korrekt interpretieren und die komplexe Perspektiven- sowie Spielmechanik, welche der Sicht aus der zweiten Person geschuldeten wäre, geschickt kompensieren. Es gölte, die Kontrolle der Spielfigur in Teilen auszulagern und der Spielengine zu überlassen – und gleichwohl mir als Spieler das Gefühl zu vermitteln, für jedwede Wechselwirkung selbst verantwortlich zu sein.

Liefe ich gezielt auf eine Leiter zu, kletterte meine Spielfigur kurzerhand herauf (haha, als ob; kaum ein Spiel vermochte Leiterklettereien bis heute befriedigend zu meistern); träte ich auf einen Abgrund zu, hielte sie zögerlich inne und nähme ich einen Feind ins Visier, lenkte geschmeidiges Auto-Aim die Kugeln zwischen die Augen des Zieles. Mustererkennung, Interpretation und Handlungsvorhersage lauteten die Devises, Mechaniken, die sich beispielsweise mithilfe skalierbarer Cloudrechenzentren bewerkstelligen ließen – wie es etwa Google Stadia einst ankündigte.

Auch die Begleitperson unterläge den Folgen meiner Eingriffe und damit die Perspektive des Erlebten. Träte ich loses Mauerwerk bröckeliger Ruinen los, verbaute ich der Kamera den Weg. Pöbelte ich passiv-aggressive Mitmenschen an oder führte mich gar bedrohlich auf, setzte ich damit die körperliche Unversehrtheit meiner Spielfigur sowie meiner Begleitung aufs Spiel. Und stähle ich güldenes Geschmeide, benähme mich allzu draufgängerisch oder läge eine verletzende asoziale Verhaltensweise an den Tag, bewirkte ich womöglich eine zunehmende Distanzierung oder emotionale Abstumpfung ebenjener Person, von deren Warte aus betrachtet ich mich selbst sähe und steuerte. Womit die einmalige Chance entstünde, selbstreflektiert innerhalb der an die Realität angelehnten Rolle des fiktiven Protagonisten unrealistisches Handeln oder das Überschreiten roter Linien zeitnah zu erkennen. Es böte die Möglichkeit, mich selbst aus den Augen meines Umfeldes wahrzunehmen, und sei es nur innerhalb der limitierten technischen Restriktionen eines Spieles. Schon alleine dies gliche einem Gamechanger.

Weiterführende Szenarien hinsichtlich zwischenmenschlicher Relationen wären denkbar, beispielsweise in Aspekten der Tuchfühlung. Meine Spielfigur könnte der mich begleitenden Person den Hof machen, indem ich gen Kamera gerichtet Annäherungsversuche startete, Komplimente gäbe, flirtete und kecke Liebhudeleien zum Besten gäbe. Und ich somit aus erster Perspektive die Effekte meiner Avancen erlebte; seien es angewidertes Abwenden, genervtes Augenrollen, zynisches Kontern – oder auch positive Rezeption. Worauf ich als Spieler aus der Perspektive der nach wie vor von einer KI kontrollierten Figur von mir ausgeübte Emotionen wie Liebe, Lust und Leidenschaft empfinge.

Dies wäre ein Spiel, das nachhaltige Geschichten in meine Erinnerungen brannte, gespeist aus den direkt erlebten Aktionen und Reaktionen der von mir indirekt angestoßenen und durchlebten Abenteuer; Erinnerungen, die mir einen Spiegel vorhielten und mich kritisch bis erbarmungslos entblößt resümierten. Ein Spiel, das mich aus der Fassung brächte; mein gewohntes Weltbild zerbräche und mir Brainfuck auf Brainfuck entgegenwürfe. Was könnte dieses Spiel anderes sein als der Einbruch des Unvertrauten, bar jeder Referenz und damit die Abwesenheit all dessen, was sich je in meiner Erfahrungswelt spiegelte, sodass nichts bliebe außer dem Empfinden völligen Ausgeliefertseins und universeller Wesensfremdheit?

Was fehlt.

Ich wünschte mir ein ausgebufftes Second-Person-Action-Adventure.

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