Rückblick: Verlorene Kindheitserinnerungen der 90er Jahre
Alle Wetter! Da kruschelte vor gar nicht allzu langer Zeit erst Herr Kaliban in der nostalgische Gefühle hervorrufenden Kiste der vergangenen Absurditäten – nur um kurz darauf von hYpercrites* in einer ebenso einlullenden Welle schwallender Vorzeitgefühle heimgesucht zu werden. Ähnlich vieler anderer Blogs davor. Blanker Irrsinn, dem ich mich im Folgenden freudestrahlend anzuschließen vermag.
Sicher, nun könnte ich – der braven Meute gleichziehend – ebenso ausführlich ob alter, bar jeglichen Internets gewesener Zeiten schwelgen. Doch ward dem gerade im Web bereits zu oft nachgetrauert. Ebenso den viel gepriesenen Schallplatten, monströser Frisuren, starker Währungen oder schrecklichen Moden. Mitnichten, ich verweise auf wahrlich profane Dinge vergangener Zeiten. Objekte, welche im Alltag der gegenwärtigen Jugend kaum bis gar keine Rolle mehr spielen. Ladies and gentlemen, let’s get ready to rumble:
Telefonkarten und Telefonhäuschen
Kaum zu glauben: Einst missten die Bewohner dieses Planeten die Möglichkeit, jederzeit und von jedem Ort zu schwadronieren. Stattdessen mussten sie harte Währung oder Magnetstreifenkarten in Ausweisformat aufnehmen und damit in petto die nächste öffentliche Telefonzelle aufsuchen. Das waren so gelbe, weitverbreitete Einpersonenhäuschen mit schwummriger Beleuchtung, massivem Telefon und papiernem, alphabetisch sortiertem Telefonnummernverzeichnis. Besagte Telefonanlage bedurfte zwecks des Freischaltens eines Telefonats der Aufnahme einiger klimpernder Münzen oder des Einschiebens einer mit Guthaben aufgeladenen Telefonkarte. Letztere konnte im damaligen Einzelhandel erworben werden und ward auch nur für diese eine Tätigkeit zu gebrauchen.
Schnurtelefone und Telefonbücher
Um beim Thema zu bleiben: Früher tippten Menschen, wenn sie jemanden akustisch kontaktieren wollten, weder auf berührungsempfindliche Fläche flacher elektronischer Geräte, noch digital mittels Mauszeiger auf mit grünem Telefonsymbol hervorgehobene Kontakte. Anstelle dessen schlugen sie in obig bereits erwähnten Telefonnummernverzeichnissen nach, orientierten sich anhand Postleitzahl und Nachnamen der Zielperson durch die klein gedruckten, schweren Kataloge und fanden schlussendlich mit einer Prise Glück die gesuchte Nummer. Ward die gesuchte Person hingegen nicht in jenem Telefonbuch verzeichnet, musste ein weiteres herangezogen oder die Auskunft kontaktiert werden. Digitale Telefonverzeichnisse waren gänzlich Vorstellungen großformatiker Hollywood-Blockbuster.
Doch die Suche lohnerte sich: Richtig verwendet konnte mit der gefundenen Zahlenkombination das Gegenüber telefonisch erreicht werden. Dazu nahmen die Bürger vergangener Zeiten einen Telefonhörer zur Hand, welcher mit einem Kabel (!) an eine mit Ziffernblöcken (!!) versehene Telefonstation verbunden war. Das Tippen der Nummer beanspruchte eine gewisse aufgebrachte Fingerkraft und der mobile Radius zum Telefonieren ward auf wenige Meter um diese Telefonstation beschränkt. Richtig gelesen, Schnurlostelefone oder gar Handys waren unbekannte Gerätschaften.
Kassetten
Stell dir vor, du wünschest, den Interpreten deines Lieblingssongs zu hören. Nähmest dazu ein aus hartem Plastik bestehendes, rechteckiges Unding in deine Hand, öffnetest am Radio deiner Wahl eine Klappe, stecktest das Objekt hinein und drücktest nach dem Schließen der Luke eine laut einrastende Taste. Zahnräder begännen zu malmen, Federn zu quietschen. Ein “zum nächsten Track springen”-Knopp existierte nicht, daher müsstest du in wiederholender Weise längere Zeit auf eine als “Vorspulen” gekennzeichnet Taste klicken. Um damit auf gut Glück deinen auf 90-minütigem Magnetband gespeicherten Song zu finden. Wohl wahr, Kassetten waren schon eine sonderbare, geradezu altsteinzeitlich anmutende Erfindung. CDs, MP3s und Streams waren ein futuristisches Produkt einzelner Nerds und exklusiver Universitäten.
Straßenkarten
Es begab sich zu einer Zeit, als ein uns namenloser Mann – nennen wir ihn Rolf Hans – plante, mit seinem Automobil von A nach B zu fahren. Gänzlich unbekannt war dem Kerl jedoch die zu fahrende Strecke zwischen beiden Punkten. So faltete er also vor Anbeginn seiner Fahrt eine Straßenkarte auf, suchte akribischen Auges seinen Heimatort und das ferne Ziel. Kombinatorischen Denkens sei Dank erörterte unser Herr den idealen Streckenverlauf und machte sich alsbald auf die Socken. Respektive Räder. Mit gerade einmal zwei Zwischenhalten zum Nachprüfen des aktuellen Standpunktes und der Planung einer Ausweichstrecke aufgrund unvorhergesehener Bauarbeiten erreichte der Mann schließlich sein angestrebtes Ziel und faltete mit einem Schmunzeln im Gesicht die nun nicht mehr benötigte Straßenkarte zusammen. Um sie zu all den anderen Straßenkarten ins randvolle Handschuhfach seines Automobils zu legen. GPS, Navis und Google Maps gab es für die breite Öffentlichkeit nicht.
Lexikas
Einen wahrig süßen Quell frischer Kenntnis erfuhr der Wissenssuchende anno dazumal mittels durchblättern tausendseitiger Schinken respektive Lexika. Gelüstete es ihm nach Bildung ob eines fremden aufgegriffenen Begriffes, so nahm er sich zum Beispiel des “Der große Knaur”-Lexika an, einer 20-bändigen, friemelig verfassten Abhandlung modernen Wissens. Neuheiten suchte er dort jedoch vergebens, ward bedrucktes Papier doch langlebig und fern jeglichen Wandels gewesen. Fehler blieben Fehler, Fehlendes blieb fehlend. Die Vorzüge von Wikipedia, Google und Konsorten vermochte der Suchende gar nicht erst zu erträumen.
Briefe (handgeschrieben!)
Kein Witz: Spontane Aller-Ortskommunikation, Geburtstagsgrüße in 160 Zeichen oder Einladungen mittels Massenmail per Facebook gab es nicht immer. Vor langer Zeit bedienten sich Menschen zur überregionalen Kommunikation händisch verfasster Texte. Mit einem Schreibutensil brachten sie romantische Liebesbekenntnisse, herzliche Glückwünsche, spannende Erzählungen und freudige Nachrichten zu Papier. Dieses wurde nach dem Beschreibungsvorgang mehrheitlich mehrmals gefaltet und in papierne Papieraufbewahrungsbehältnisse namens “Kuverts” gesteckt. Mittels Speichel und Gummierung verschlossen, befestigten die Menschen mit Hilfe von noch mehr Speichel gekaufte Wertmarken auf eben jene Kuverts, schrieben die analoge Adresse der Zielperson darauf und warfen den gesamten Brief anschließend in grellgelbe Postkästen ein. Nach der Dauer mehrere Tage bis Wochen (!) traf der Brief letztlich zur hellen Freude der Zielperson an einem völlig anderen Ort auf diesem Planeten ein. Eine schöne Tradition, deren Ausführung heutzutage oftmals sowohl an fehlender Geduld als auch an mangelnden handschriftlichen Kenntnissen scheitert.
Micky Maus-Magazin
Seinerzeit, als Kinder noch mit Tamagotchis und Monopoly spielten, blühte in den Trafiken und Kiosken unserer spärlichen Ansiedelungen zugleich der Umsatz knallbunter Comics, so auch der des Micky Maus-Magazins. Spannende Abenteuer und lustige Gegebenheiten mit teils abstrusen, mehrheitlich liebenswerten Comicfiguren wie Donald und Dagobert Duck nebst Neffen, Goofy, Kommissar Hunter, Gundel Gaukeley, Dussel, Opa Knack von den Panzerknackern und Klaas Klever fesselten Myriaden nach Unterhaltung gierender Kinder und auch Erwachsener Woche für Woche stundenlang an Sofas und bequeme Betten. Einfache Worte, noch dazu auf Dünndruckpapier gedruckt. Daran überhoben sich weder Körper noch Geist. Dennoch stellten diese ruhigen, zugleich fantastischen Momente des Comiclesens jedes Mal ein absolutes Highlight dar. Dauerberieselung mittels Unterschichtenfernsehen, schier unendlichen medialen Archiven wie YouTube oder Computerspielen gab es zu damaligen Zeiten seltener bis überhaupt nicht.
Röhrenbildschirme
Feierabendszene in einer gutbürgerlichen, mitteleuropäischen Behausung aus den letzten Tagen des vorherigen Jahrtausends: Erpicht darauf, den Tag sowie das soziale Leben zu verdrängen, starrt eine uns beliebige Familie wortkarg gen Wohnzimmerwand. Vor jener Wand erhebt sich ein epochales Monstrum antiker Unterhaltungstechnologie. Gigantisch in seinen Ausmaßen, blechern und knisternd im Sound, stromfressend, arg pixelig und irrsinnig flimmernd im Erscheinen. Eine schwermütige, raumübergreifende Gerätschaft, erpicht darauf, die Atmosphäre des Zimmers elektrostatisch auf- und ästhetisch abzuwerten. Flachbildschirme waren allenfalls Relikte irrer, dampfwalzenbedingter Männeraktionen.
Antennen auf den Dächern
Jene, über die Mattscheibe der Röhrenbildschirme flimmernde Fernsehprogramme empfing der durchschnittliche Mensch der 90er-Jahre mittels in das blaue Firmament stechender, metallener Antennen. Sperrige, zugleich scharfkantige Vorrichtungen, welche zum Empfangen elektromagnetischer, unterhaltungsgeschwängerter Wellen auf den Dächern heimeliger Wohnhäuser befestigt wurden. Starke Winde, fiese Gewitter oder hohe, in der Umgebung stehende Objekte natürlichen und menschlichen Ursprungs vermochten den Empfang spaßiger Bilder einen Dämpfer zu verpassen. Rauschende Sendungen wurden mittels halsbrecherischem Verrenken der Antenne behoben, Vögeln bot sich ein idealer Zwischenaufenthalt und Blitze freuten sich ob der vielen anziehenden Einschlagsmöglichkeiten. Kabel-, Satelliten-, DVB-T- oder gar Internetfernsehen waren rare Begebenheiten.
* = An dieser Stelle Gruß, Achtung, Liebe, Verehrung und Ermahnung an meinen Freund und Beschützer hYpercrites 🙂
5 Kommentare
uft, viel text fräulein, aber gut geschrieben 😀
grade an telefonkarten, micky maus hefte (und yps-hefte) erinnere ich mich wirklich noch sehr gut.
ich hatte damals eine nette kleine sammlung von diesen telefonkarten mit den allerkomischsten bildern darauf!
und wenn ich mal so in meine eingestaubten kisten irgendwo auf dem dachboden gucken gehen würde, würde ich mit sicherheit noch das eine oder andere spielzeug aus dem micky maus / yps heft vorfinden *-*
OMG die YPS. Ja, davon liegen im Haus meiner sogenannten Teilkindheit sicherlich auch noch jede Menge in verstaubten Kisten auf dem Dachboden herum. Ebenso Mickey Maus-Magazine, Lustige Taschenbücher, Abenteuer-Team-Hefte, Fix und Foxi-Comics, Garfieldhefte und natürlich bergeweise Sailor Moon-Magazine 🙂 Sollte ich beizeiten mal wieder hervorräumen und lesen *_*
Bei Kassetten hättest du ruhig auch auf das Audiovisuelle Äquivalent hinweisen können. Was hat man sich da rumgeärgert, um den Videorecorder zu programmieren und aufgepasst, dass man ja nicht in die Nähe von Magneten kommt und alles unwiderbringlich gelöscht ist. Mann waren das noch Zeiten 😀
Das hatte ich in der Tat auch geplant, allerdings bemerkte ich dann zu meiner Ernüchterung, dass gerade der guten alten VHS in den Tiefen des Webs mehr als zur Genüge nostalgisch nachgetrauert wurde. Die Kassette hingegen fand bislang wenig Beachtung, warum auch immer. Spielte sie doch gerade auch in meiner Kindheit eine bedeutende Rolle, ich denke nur an die unzähligen Pumuckl-, Benjamin Blümchen-, Bibi Blocksberg- und Pippi Langstrumpf-Episoden zurück.
Welche übrigens auch heute noch zutiefst zu unterhalten wissen, kann ich jedem nur ans Herz legen 🙂
wie hast Du die Website so hinbekommen? Hätte auch gern so einen klasse Aufbau meiner Seiten, leider kriege ich das als Laie und aus Mangel an Zeit, mir alles anzueignen was dazu gehört, nicht hin und habe mich bei einem Programm angemeldet. Die Vorlagen sind bei weitem nicht nach meinen Geschmack. Also wenn Du mir einen Tipp geben könntest, wäre ich Dir dankbar. FB und Email sind Dir ja jetzt bekannt. Würde mich freuen von Dir was zu hören( ähm lesen meinte ich natürlich) lg karo
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