Rawabi – Stadt der Hoffnung im Staate Palästina
Dieses Textchen hier handelt von einer kleinen, doch feinen, auf digitalem Reißbrett entworfenen Planstadt. Einem urbanen Traum, welcher seit dem 01. Januar 2010 Verwirklichung erfährt. Einem ehernen Kleinod, mit sprichwörtlich aus in den Weg gelegten Steinen errichteten Fundamenten und Mauern. Eben besagtes medial unaufdringliche Städtchen vermag mit 6.000 behaglichen Wohnungen für anfangs 25.000, später bis zu 40.000 prosperierenden Bewohnern aufzuwarten. Mit 25.000 wohlüberlegt, in großzügig erdachten Parkanlagen, Wäldern und rund um kulturelle Einrichtungen drapierten Bäumen. Mit modernen Büroflächen, verkehrsberuhigten Shoppingmeilen, charmanten Cafés, einem kleinen Stadion, einem Amphitheater römischen Vorbildes, Schulen und Krankenhäusern, Solarpanelen auf den Dachflächen, eigenen Klär- und Wasseraufbereitungsanlagen, dazu einer ästhetischen Moschee, einer orthodoxen Kirche und überdies einem galanten Gotteshaus für Anhänger des christlichen Glaubens. Mit annähernd 800 Millionen bis 1,2 Milliarden US-Dollar wird die Errichtung jener besonderen Trabantenstadt – stand 2015 – zu Buche schlagen; ein Schnäppchen im direkten Vergleich mit den vielen anderen Planstädten; dieser Tage rund um den Globus wie Pilze aus dem Boden schnellend.
Welche Eigenschaften vermögen besagten, verhältnismäßig kleinen Ort ergo aus der Masse konstruierter Städte der Gegenwart hervorzuheben? Nun, reichlich annoncierte Stadt hört auf den wohllautenden Namen Rawabi (روابي), frei übersetzt “Die Hügel”, und schmiegt sich sanft und stolz an Selbige, inmitten und zugleich allen politischen, religiösen wie gesellschaftlichen Wirren des Staates Palästina (دولة فلسطين) zur Wehr setzend. Umringt von subtropisch-trockenen Gefilden und gar ruppiger Vegetation; durchdrungen von mitunter sengender Hitze und mediterranen Aromen in einer der wasserärmsten Regionen des Planeten; in Sichtweite ordentlich gepflegter jüdischer Siedlungen. Aus jerusalemischer Perspektive Pi mal Daumen nördlich gelegen, in direkter Nähe zu Ramallah (م الله). Konzipiert und in die Wege geleitet vom palästinensisch-amerikanischen Unternehmer – und bezüglich dieser auf den ersten Blick zum blanken Scheitern verurteilten Idee gewiss auch Visionär – Bashar Masri (بشار مصري) und unter kräftiger finanzieller Zuhilfenahme vom Emirat Katar.
Rawabi, die allen Widrigkeiten trutzende, aus wüstem, umstrittenen Erdreich erblühende Stadt, steht symbolisch für einen neuen, selbstbewussten Staat Palästina. Für junge Familien der Generation Facebook; hochgebildet, motiviert und engagiert, der immerwährenden Scharmützel und Kriege des Nahostkonflikts ausgelaugt und müde. Einer Generation, vermehrt auf Gewaltlosigkeit als einziges Heilmittel jenes seit 100 Jahren währenden Konfliktes setzend. Ein frischer Wind braust zunehmend durch die beidseitig erstarrte Borniertheit des Nahen Ostens – und in demselben Maße durch die Straßen und Gassen Rawabis, in Bälde mit für die westlich des Jordans gelegene Gegend außerordentlich modernen Infrastrukturen aufwartend. Verwoben mit flinken Anbindungen an die lichtdurchfluteten Pulsadern unseres Planeten, diesem neumodernen Interwebz. Rawabi – innovativ, effizient, grün und en vogue. Mag das Projekt von Bashar Masri letztendlich wie jedes andere ebenso auf finanziellen Profit ausgelegt sein – die größten Menschen bleiben jene, die anderen Hoffnung geben können. So oder so.
Allen positiven Aspekten zum Trotz stand das Vorhaben seit Anbeginn vor schier gewaltigen Herausforderungen. Beginnend bei ungemein banal anmutenden Erschwernissen wie dem eines regulären Straßenanschlusses. Denn im Staat Palästina existieren aufgrund der andauernden israelischen Besatzung zweierlei Straßennetze: Ein von Checkpoints Durchsetztes für die palästinensischen Bürger und ein stellenweise Gesondertes für die israelischen Siedler und deren Militär. Zu Beginn fochten die Bauherren daher über Monate hinweg zähe Verhandlungen aus, um Baufahrzeugen und Tausenden Mitarbeitern Zugang über das besser ausgebaute israelische Straßennetz aus der vollumfänglich von Israel kontrollierten C-Zone des Staates Palästina gen Rawabi zu gewähren – mit Erfolg. Nun denn, zumindest für die jeweilige Dauer eines Jahres; hernach startet der verbissene Konferenzmarathon Jahr für Jahr von Neuem. Indes ist bis dato nach wie vor unklar, ob auch die künftige Zivilbevölkerung Rawabis Zugang über besagten wichtigen Straßenanschluss erhalten darf – doch wer nichts waget, der darf nichts hoffen.
Als ähnlich streitbar stellte sich die Sicherstellung der Wasserversorgung Rawabis heraus. Da der Staat Palästina über ein nur unzureichend realisiertes Trinkwassernetz, geschweige denn über zusätzliche Kapazitäten zur Versorgung der bis zu 40.000 Einwohner Rawabis, verfügt, folgten weitere langwierige Meetings mit der Okkupationsmacht, um Anschluss an das israelische Wassernetz – in Teilen ebenfalls parallel zum palästinensischen Versorgungsnetz verlaufend – zu erhalten. Erneute Verhandlungen führten zu Verzögerungen, und diese verursachten – in der Retrospektive betrachtet – geschätzte Mehrkosten von etwa 100 Millionen US-Dollar. Anlässlich des Fehlens dieses lebensnotwendigen, erquickenden Quells glich Rawabi infolge – ungeachtet bereits fertiggestellter Stadtteile – einer nigelnagelneuen Geisterstadt mit nur wenigen hartgesottenen Haudegen als taufrische Pioniere. Wo kein Wasser, da keine Lebensgrundlage. Doch wenigstens jene Durststrecke wurde zwischenzeitlich auf politischer Ebene terminiert; am 01. März 2015 erhielt der Bauherr Bashar Masri vom israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu (בנימין נתניהו) die lang ersehnte Zusage für den Anschluss Rawabis an das israelische Wassernetz. Freilich fürs erste bloß auf dem Papier – weswegen sich bedingt durch eben jener auf wackeligen Beinen stehenden Versorgungslage nächsthin außerplanmäßige Mehraufwände zur Erschließung und Inbetriebnahme eigener Wasserinfrastrukturen ergeben werden. Wasser marsch!
Dann wäre hier neben dem enormen, aus den umliegenden jüdischen Siedlungen entgegenschwappenden Misstrauen – welche einen erstarkten Staat Palästina mit allen Mitteln zu verhindern versuchen – das Misstrauen aus den eigenen palästinensischen Reihen anzumerken. Ein solch ausnehmendes und dazu teures Bauprojekt kann, nein darf nicht mit rechten Dingen einhergehen; es gerüchteköchelt, ein perfider Plan Israels steckte hinter all den Bestrebungen. Ein weiterer kluger Schachzug zur Annexion zusätzlichen palästinensischen Bodens, bis eines Tages das gesamte Land ganz und gar Israel gehörte. Alleine die Tatsache, dass israelische Unternehmen und Politiker ergänzend Support, Know-how sowie Materialien liefern, ließe keine anderen Zweifel zu. Es ist die omnipräsente Angst, die immerzu Grenzen zu setzen versucht.
Und so gesellen sich reelle Baustellen zu ideellen Baustellen. Beiderseits herrschen Mauern; die einen gilt’s zur Errichtung neuer Lebensräume aufzuschichten, die anderen zur Wahrung eben dieser einzureißen. Sicher, die palästinensisch-israelische Beäugung verläuft im Rahmen vorgenannten Programms angesichts historischer Erfahrungen ungemein kritisch, doch keimt bedächtig die Erkenntnis, dass sich womöglich auch die Gegenseite aus normalen Menschen wie du und ich zusammensetzt. Dass es keinen Frieden ohne gegenseitigem Verständnis geben kann. Mehr noch – dass selbst ein bisweilen unvorstellbares Miteinander nach verwegenem Überspringen eigener Schatten möglich sein dürfte. Wohl wahr, das gesamte Konzept in und um der Planstadt Rawabi herum lehrt zuvörderst Besonnenheit. Ist man in kleinen Dingen nicht geduldig, bringt man den großen Plan zum Scheitern. Entsprechend sei dem Bauherrn, den fleißigen Arbeitern und nicht zuletzt der angespornten Population Rawabis von ganzem Herzen gewünscht, dass diese Stadt vollendet werden darf – und dann nicht binnen weniger Jahre aufgrund neuerlicher Auseinandersetzungen, Intifadas, Kriegen, wiederkehrenden israelischen Targeting-Programmen oder anderweitigen Aufständen in knisternden Trümmern liegt.
Rawabi – A City to Live, Work and Grow
Titelbild: “Freedom for Gaza” von “babylonien“.
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