Proteste in Libyen – wo bleibt der “moralisch überlegene” Westen?
Aufruhr im Land des goldenen Morgens. Die Bevölkerungen im Nahen Osten begehren auf, gehen geschlossen auf die Straßen, kämpfen um ihre Rechte. Ob Länder wie Tunesien und Ägypten, in welchen die Proteste bereits erfolgreich verliefen, oder Marokko, Dschibuti, Bahrain, Jemen, Algerien, Jordanien, Serbien, Sudan, Indien sowie auch wiederholt im Iran. Die dort lebenden Menschen haben die Schnauze voll. Eine der kulturell geschichtsträchtigsten und reichsten Gegenden der Erde vegetiert seit vielen Jahrzehnten, wenn nicht gar Jahrhunderten unter dem Joch Einzelner, sich zum Herrscher über alle Länder erklärter Diktatoren, Könige und ewig Gestrige.
Ein Volk übt den Aufstand
Eines Dominoeffektes gleich verfällt nun ein Land nach dem anderen in euphorisches Chaos. Tunesien und Ägypten machten den Sturz der sich bereichernden, verhassten Führung vor, andere Gesellschaften folgen. Neuester Brennpunkt auf der wüsten Karte des Nahen Ostens und Nordafrika ist Libyen. Dieser von den Bodenschätzen her eigentlich hochgradig verwöhnte Ölstaat mit einer Gesamtbevölkerung von gerade einmal 6,3 Millionen Menschen fristet seit über 40 Jahren ein tyrannisches Dasein unter der eisernen Knute seines bizarren Diktators Muammar Al-Gaddafi. Während jener bisher alle Privilegien eines mehrfachen Milliardärs und alleinigen Herrschers genoss, darb seine zumeist unter der Armutsgrenze lebende Bevölkerung abseits freie Rechte und einer eigener Stimme. Doch der erfolgte Sturz in Libyens Nachbarländern Tunesien und Ägypten schürte auch hier die Flammen der Hoffnung in den Herzen der Libyer.
Seitdem schallt es auf den Straßen Tripolis und anderer libyscher Städte: Viva la Revolución! Nieder mit Muammar Al-Gaddafi. Ein stiefmütterlich behandeltes Volk kämpft für seine Freiheit, für die Ideologie der Demokratie, für Menschlichkeit. Al-Gaddafi wiederum hält verbissen an seinem Thron fest, rangelt um sein politisches Überleben. Mit aller Härte befiehlt er seinen hochgerüsteten Eliteeinheiten, gegen den Mob vorgehen. Polizisten schießen auf ihre eigenen Landsleute, erschütternde Berichte über Granatenexplosionen und Scharfschützen machen die Runde. Jüngst soll nun sogar die libysche Luftwaffe aktiv Angriffe gegen Demonstranten geflogen haben. Raketen aus der Luft gegen menschliche Schutzschilder. Wohl war, Libyens Zukunft steht derzeit wankend auf des Messers Schneide. Was die Menschen nun benötigten, wäre internationale Rückendeckung. Zuspruch. Mut. Hilfe. Unterstützung. Damit auch dieser Umsturz erfolgreich verläuft und er wiederum Menschen in anderen Ländern den gleichen Willen schenkt, ihre Zukunft fortan selbst in die Hand zu nehmen.
Europa schaut zu
Und was macht die “moralisch überlegene” Festung Europa? Wenn ein Diktator alles gegen sein eigenes Volk auffährt, sollte der reiche Westen nicht zögernd zusehen, schon unserer eigenen Geschichte wegen. Wir, die viel gepriesenen freiheitsliebenden Demokraten, müssten bei jeder Gelegenheit helfend zur Seite stehen, wenn es darum geht, einem menschenverachtenden Diktator den Todesstoß zu versetzen. Doch, wie so oft in unserem Bürokratiemoloch, wird geredet, aber nicht gehandelt. Die Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten sei nicht legal. Wir besäßen nicht das Recht, die Zukunft anderer Gesellschaften zu beeinflussten. Aber ist es nicht ein viel größeres Vergehen Verbrechen, sang- und klaglos zuzusehen, wie ein ums überleben kämpfende Volk auf den Straßen abgeschlachtet wird? Ohne etwas dagegen zu unternehmen, obwohl wir durchaus entsprechende Hebel der Macht besäßen?
Der Westen täte gut daran, mit vereinter Stimme zu verkünden: AL-Gaddafi, lass deine Militärs zu Hause, oder wir ziehen sowohl sie als auch dich aus dem Verkehr.
Nun, die Realität sieht leider anders aus: Eine missmutige Kanzlerin mit nach unten hängenden Wangen stammelt fahrig etwas von “… wir nehmen zutiefst Anteil und wünschen dem libyschen Volk alles Gute …” in eifrig aufgebaute Mikrofone. Ein wahrlich “emotionales” Lippenbekenntnis. Nur um anschließend wieder zu Deutschlands OMG-Nachrichtenthematik Numero 1 zurückzukehren, dem guttenbergschem Doktortitel. Vor den Mauern der Festung Europa kämpfen reale Menschen verzweifelt gegen diktatorische Regime – und wir beschäftigen uns stumpfsinnig um zwei irrelevante Buchstaben eines lausbübischen Verteidigungsministers.
Geld macht Macht
Und während Al-Gaddafi nun eines trotzigen Kindes gleich mit einem Schirm bedeckt sein Volk verhöhnend durch die Straßen Tripolis kurvt, schenken wir Europäer zumindest der drohenden Flüchtlingswelle aus Nordafrika einen gnädigen Hauch von Aufmerksamkeit – und dem wegbrechenden Absatzmarkt in Libyen. Sicher, nun ließe sich hier mannigfaltig über unsere fehlgeschlagene, enttäuschende Außenpolitik debattieren. Darüber, was Europa denn machen könne und solle. Über Lösungsvorschläge und theoretische Szenarien. Doch derer sind sich unsere Politiker mit Sicherheit bewusst, ignorieren dieses Wissen jedoch ebenso. Man denke nur an unsere jahrzehntelange Unterstützung von Despoten und Diktatoren unsererseits. An glänzende Geschäfte, auch mit Waffen und auch vonseiten Deutschlands. An unsere indirekte Mitschuld an den grausamen Menschenrechtsverbrechen in aller Welt, derweil wir nach außen weiterhin eifrig unseren gepredigten Vorhang von wegen Demokratie und Freiheit wahren.
Der Wüstenstaat Lybien verfügt bekanntlich über reiche Ölvorkommen. Schwarzes Gold, von dessen Kuchen jeder ein Stückchen abhaben will. Auch und vor allem Europa. Wir sind auf Öl angewiesen. Ergo besitzt der, der das Öl besitzt, das Recht, sich alles erlauben zu können. Solange Lybien Öl nach Europa und auch in die USA exportiert, werden sich unsere Politiker hüten, aufzubegehren und ernsthaft etwas gegen Gaddafis Verständnis von der “diskreten Auflösung einer aufgebrachten Menschenmenge” unternehmen. Sobald es um Öl und Geld – und somit um Macht – geht, spricht auf einmal niemand mehr von Menschenrechten.
Der Weg in die Freiheit
Wir können nur hoffen, dass das libysche Volk das nötige Durchhaltevermögen besitzt, um Muammar Al-Gaddafi außer Landes zu treiben und endlich die engen Fesseln der Diktatur zu sprengen. Denn der Wille existiert, das steht außer Frage. Eine Zukunft in Freiheit und Friede sei ihnen mehr als gegönnt. Wir allerdings sollten uns auf die Frage gefasst machen, warum Europa seelenruhig zusah, derweil Hunderte und Aberhunderte Menschen ihr Leben ließen. Auf dass wir dann vor Scham im Boden versinken.
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