Horizonte
Obgleich alle Menschen unter demselben blauen Himmel lustwandeln, verfügen sie über bemerkenswert divergente Horizonte – gliche die Welt einem wuchtigen Wälzer, so sähen viele nur eine einzelne Seite hiervon.
Mikrokosmen
Personen, welche ich zu gegenwärtigen wie einstigen Lebens- und Arbeitsabschnittsgefährten, Tweeps und auch Freunden zähle, nennen einen von meiner Warte aus betrachtet in weiten Teilen ausgesprochen beschränkten Horizont ihr eigen. Jedoch im positiven Sinne: Sie leben in Simplizität – kleine Welt, ganz groß. Für sie vermag ein Ausflug zur nächsten Kreisstadt einer ereignisreichen Tagesreise gleichen; und die in ein Städtchenkaliber à la Berlin, Hamburg oder München (in Relation zu Metropolen dieser Welt gestellt) einer strapaziösen Expedition gen hektisch-übervölkertem Terrain. Urlaube in Nachbar- oder weiter entfernte Länder entsprechen spektakulären Lebensereignissen, von deren Substanz noch Jahre später in illustren Bekannten- und Verwandtschaftskreisen ausschweifend schwatzend gezehrt wird.
Diese Menschen sind fest verwurzelt in ihr Umfeld und Umland, verfügen über Freundeskreise in nächster Nachbarschaft und finden – obgleich sie sich generell als furchtbar wählerisch und individuell empfänden und beschrieben – in ihrer Existenz als ungedeckter Topf ersehnte Deckel in frappierend kurzer Distanz. Es findet ein bequemes Leben nach Schema F statt: Schaffe, schaffe, Häusle baue. Auf Antritt einer langfristigen Anstellung folgt Kundgabe einer Liierung folgt Begründung einer Familie folgt bodenständiges Leben bis ins hohe Alter hinein. Von außen betrachtet erweckt dieser Schlag Menschen den Anschein, langweilig, anspruchslos und fortgeschritten behäbig zu sein; wie Konservative – Menschen mit zwei völlig gesunden Beinen, die nie richtig gehen lernten. Doch für besagte Gesellschaft ist dies augenscheinlich biedere Leben vollumfänglich erfüllend; sie sind glücklich und zufrieden. Wollen gar keinen weiter gesteckten Horizont.
Makrokosmen
Mein eigener Horizont indes mutet ungleich extensiver an – wer die Enge seiner Heimat begreifen will, der reise (stattdessen verfügt er über anderweitige Restriktionen #sozialerAutist). Unser Blauer Planet ist gerade genug. Eine Stadt wie München strahlt auf meine Wenigkeit eine lähmende Aura von Borniertheit, Altherkömmlichkeit und Kleingeistigkeit aus; sie wirkt selbst nach Jahren des Residierens lähmend, öde und desillusionierend. Mitunter vermittelt gar mein geografisches Geburtsland ein beklemmendes Gefühl von Langsamkeit, Überschaubarkeit und Unaufgeregtheit. Stetes Fernweh und emsige Wanderlust ist’s, was ich empfinde. Blühe vollends auf in prosperierenden Global Cities wie London, Singapur, Hongkong und Dubai – der höchsten Kategorie der Weltstädte. Orten, in welchen der Puls der Zeit spürbar pocht; die den Zeitgeist unserer weltumfassenden Zivilisation aktiv formen und evolutionär voranentwickeln, statt ihn lediglich zeitverzögert zu imitieren – wie es kleinere Städte wie besagtes München beispielsweise zu handhaben gedenken.
Mich zieht es in ferne Länder, zu unbekannten Mentalitäten, aufstrebenden Ideologien, exotischen Sinneseindrücken, xenophilen Menschen, ungewohnten körperlichen Erfahrungen und sexuellen Exkursionen. Wie süß ist alles erste Kennenlernen – du lebst so lange nur, als du entdeckst. Und ich bin wissenshungrig. Süchtig nach Abenteuern, nach unbekannten Gefilden. Will das Etablierte verwerfen und das Unkonventionelle offener Arme empfangen. Ich will Erfahrungen, Reife und Weisheit erlangen – denn nur, solange ich neugierig bin, kann mir das Alter nichts anhaben. Ein Leben wie eingangs beschrieben empfände ich als verdrießlich, ja regelrecht paralysierend. Die schlimmste Herrschaft ist die der Gewohnheit – ich verginge wie ein Tränendes Herz, welches fernab von hellem Scheine und erquickendem Quell süßen Nasses litte, verkümmerte und letztlich stürbe. Bindungen jedweder Natur schnürten meinem Freiheitsstreben phraseologisch die Luft ab.
Mesokosmen
Und dennoch wabern mir bisweilen Gedankenfragmente durch meinen weichen wachen Geiste, welche für die Dauer eines einzelnen Lidschlags Dasein und Präsenz eines beschränkten Horizonts im überaus heimeligen Lichte erstrahlen lassen. Dieser “Fog of War” gestaltete womöglich viele Aspekte meines Lebens einfacher und überschaubarer – und befähigte mich, selbstgenügsamer zu sein. Sorgenloser. Glücklicher. Und anzukommen. Denn – oh, welche Zauber liegen in diesem kleinen Worte: Daheim. Ein Zuhause haben. Eine Familie. Ein klagloses, klassisches Spießerleben. Hach.
Nur – mir ist dies nicht vergönnt. Mein persönlicher Horizont erstreckt sich fatalerweise bis weit hinter das Ende der Welt hinaus in die Unendlichkeit hinein. Und so suche ich mir die Erfahrungen zeitlebens selbst aus, die ich zu machen wünsche – und vermisste bei Ankunft am potenziell existierenden Ziele meiner Wünsche mutmaßlich nurmehr eines: mein Wandern zum Ziele.
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