Durchgespielt: Mafia: Definitive Edition

Durchgespielt: Mafia: Definitive Edition

13,5 Stunden benötigte ich zum Durchspielen der Mafia: Definitive Edition, welche ich einst auf Steam geschenkt bekam (danke, Lulu :3). Doch auf Hype folgte recht schnell Ernüchterung, und ich bin zwiegespalten angesichts dessen, was Mafia im Kontext seiner Zeit war, was die Definitive Edition im Kontext der Gegenwart ist und was sie hätte sein können.

Ein Drehbuch von fabelhafter Qualität

Die von Hangar 13 entwickelte Mafia: Definitive Edition ist mitnichten ein schlechtes Remake des von Illusion Softworks geklöppelten und 2002 erschienenen Original-Mafias, welches seinerzeit aufgrund seiner Grafik, Inszenierung und Geschichte für offene Münder sorgte. Nur ist es eben auch kein herausragendes Spiel mehr, zumindest meines Erachtens. Sowohl im Rahmen seiner Herkunft als auch nüchtern als alleinstehendes Werk betrachtet. Die Definitive Edition ist nicht mehr und nicht weniger als der Versuch, eine moderne Interpretation des Originalspiels zu schaffen, das sich, wenn man das Ur-Mafia denn kennt, verdammt schwer damit tut, einen vergleichbaren Platz im Spielerherzen einzunehmen.

Vorweg – die erzählte Geschichte des Spieles, also der Aufstieg und Fall des Tommy Angelo innerhalb der Mafiafamilie Salieri in der an Chicago oder New York angelehnten Open World-Stadt Lost Heaven der 1930er-Jahre, sucht auch zur heutigen Zeit seinesgleichen. Sie ist mitreißend, spannend, abwechslungsreich und bisweilen auch ein bisschen emotional; rasant inszeniert, mit unterhaltsamen Zwischensequenzen und teils ernsten, teils augenzwinkernden Dialogen versehen. Das Spiel fängt die Atmosphäre der 30er-Jahre innerhalb der Missionen vortrefflich ein: Aus den Radios der aufpolierten, formvollendeten Oldtimer dröhnt schmissige Tanzmusik, unterbrochen von Meldungen über von uns am Vortag begangenen Verbrechen und den wüsten Auswüchsen der Prohibition sowie der instabilen politischen Lage im fernen Europa. Passanten tragen die grau-braune Kluft des Proletariats, die luftig-pastellenen Klamotten des Sonntagsausflüglertums oder die schneidige Garderobe der reichen Oberschicht. In den Arbeitervierteln reihen sich Verkaufsstände an Kisten und brennende Tonnen, und im Stadtzentrum gurren zwischen emporstrebenden Art déco-Hochhäusern sanftmütige Tauben in wohlgepflegten Parkanlagen. Geschichte und Atmosphäre des Spieles sind auch 2021 ein unvergängliches Meisterwerk, und darüber hinaus wurden Grafik und Akustik rundum erneuert und wirken dadurch angenehm frisch. Zusätzliche Storymissionen, Zwischensequenzen sowie die Implementierung gängiger Spielemechaniken und -inhalte wie ein Deckungssystem oder Motorräder runden das feilgebotene Mafia-Päckchen exzellent ab.


Mafia: Definitive Edition – Official Launch Trailer


Weichspülung für Warmduscher

Doch abseits davon sieht es eher mau aus: Das Spiel wurde im Zuge der Neuentwicklung eben nicht nur modernisiert, sondern in vielerlei Hinsicht auch spürbar verändert – oder treffender: weichgewaschen. Vermutlich, um aus gesellschaftlichen und inhaltlichen Perspektiven proaktiv nirgendwo anzuecken und um ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Das Spiel ist in erster Linie leichter geworden; auch im optional wählbaren Classic Mode, welcher Nostalgikern wir mir das einstige, teils bockschwere Spielgefühl erneut vermitteln sollte. Pustekuchen! Die Polizei von Lost Heaven tritt bei Weitem nicht mehr so pingelig und penetrant wie anno dazumal auf ahndet kleinere Vergehen wie das Überfahren roter Ampeln, innerstädtisches Rasen oder diverse Rempeleien unverhohlen selten. Und kommt es zu Verfolgungsjagden, wirft die Gendarmerie recht schnell die Flinte ins Korn; vorbei sind die Zeiten ellenlanger, strapaziöser Rennen quer durch die Eingeweide der Stadt. Prostituierte tragen neuerdings sittliches Stoffwerk und lassen sich weder niederknüppeln noch hinrichten, vielen Figuren scheint das Blut vollends abhandengekommen zu sein, und allgemein wurde die Gewaltdarstellung drastisch reduziert. Auch die Umwelt reagiert weniger bis gar nicht auf die Aktionen des Spielers – so zeigen einem bedrohte oder aus dem Auto gerissene Passanten nicht etwa, was eine stählerne Harke ist, sondern kauern sich nur noch stumm zu Boden. Wie einst erledigte Feinde im zensierten Half Life. Meh.

Auch die Missionen wurden angepasst: Knackige, weitläufige und mitunter auch unfair anmutende Areale des Originals liegen gekürzt, vereinfacht oder teils komplett neu in Szene gesetzt vor. Das mag im Falle des legendär schweren Autorennens eine durchaus willkommene Modifikation sein, verändert das Spielerlebnis anderer Missionen jedoch vollständig. So gleicht die 15. Mission (Verdammter Glückspilz), die am Containerhafen Lost Heavens spielt, nur mehr ansatzweise der nevenkitzelnden Challenge des Ur-Mafias; das Level ist weitaus kompakter strukturiert, mit neuen Deckungsmöglichkeiten und Munitionspacks übersäht und dessen Lösungsweg sticht einem an Beleidigung grenzend offensichtlich ins Auge. Andere Missionen wie die Siebzehnte (Wahlkampf) im alten städtischen Gefängnis gleichen nun einer heiteren Fahrt ins Grüne, sie ist bar jeglicher Hochspannung, Taktik und Herausforderung absolvierbar – und hinterlässt damit einen zutiefst unbefriedigenden und fanden Beigeschmack.

Mondäne Sterbenslangeweile

Nun, zu guter Letzt ist die Mafia: Definitive Edition auch ein Remake voll verpasster Chancen: Abseits der geskripteten Storymissionen erwartet den Spieler, nun … eigentlich nichts. Rein gar nichts. Lost Heaven gleicht einer Filmkulisse; einer auf den ersten Blick hübschen, liebevoll gestalteten Großstadt, einer auf den zweiten Blick indes oberflächlich simulierten, leblosen, seelenlosen Attrappe; bisschen so wie in der Truman Show. Sicher, wie einst im Original können außerhalb der Missionen verschiedene seltene Automodelle gesammelt werden und sicher, es gibt neuerdings allerlei Zigarettenschachtelbilder, Fuchsstatuen und Comics zu sammeln und ja, im Freie Fahrt-Modus können zufallsgenerierte Taximissionen absolviert werden – doch das war es dann auch schon. Es gibt keinerlei Nebenmissionen und keine Interaktionsmöglichkeiten mit der Spielwelt. Weder folgen Passanten einem festgelegten Tagesablauf, noch interagieren sie untereinander oder gehen nebst Autofahren, Spazieren und Sitzen irgendwelchen anderweitigen Tätigkeiten nach. Die Salieri-Familienmitglieder gleichen abseits der Missionen stummen, regungs- und emotionslosen Puppen, Geschäfte und Institutionen der Stadt bleiben verschlossen, Hoch- und Straßenbahnen sind nicht mehr länger benutzbar, sondern rein dekoratives Beiwerk und auch Tommy bleibt hinsichtlich emotionaler wie familiärer Entwicklungen weitestgehend gesichtslos. Generell werden Erkundung und Entdeckertum nicht gelohnt, es fehlt jedwedes environmental Storytelling. Die gesamte Spielwelt ist leblos, trostlos und ereignislos – und entspricht damit in etwa dem, was Straßenbegleitgrün im Verkehrswesen leistet: schlichte, beiläufige Raumgestaltung.

Resümee

Um es kurz zu machen: Die Mafia: Definitive Edition ist nichts Ganzes und nichts Halbes, sie funktioniert weder im Kontext des Ur-Mafias noch im Kontext der Gegenwart. Vermag durchaus zu unterhalten und hinsichtlich ihrer Story zu begeistern, doch inhaltlich wie spielemechanisch vermutlich weder alteingesessene Fans, die den Klassiker kennen, noch neue Spieler, die Standards der Neuzeit gewöhnt sind, nachhaltig zu beeindrucken. Mafia verlor mit der Definitive Edition seinen einstigen Reiz, seinen Mythos, seine Seele.

Es bleibt mir daher nur die Empfehlung, trotz aller grafischer wie mechanischer Defizite dem Originalspiel eine Chance einzuräumen (gibts für’n Zehner bei Steam), dieses bei Bedarf mit der Mafia Remastered-Mod aufzupolieren und sich damit bewusst auf das unverfälschte, unbarmherzige Mafia-Epos des Jahres 2002 einzulassen, mit allen einhergehenden Freuden und Leiden.


Eckdaten zur Mafia: Definitive Edition

Subjektive Wertung:
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Entwickler:
Hangar 13
Publisher:
2K Games
Erstveröffentlichung (Steam):
25. September 2020
Genre:
Action-adventure
Website:
https://mafiagame.com/de-DE/mafia/

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