Benutzt & weggeworfen: Frankfurt, du dreckige Nutte
Frankfurt, du holde Glitzermetropole an den lauschigen Ufern des sanft dahinplätscherten Mains. Verträumter Miene kuschelst du dich in die fruchtbaren Lande des warmen, mediterranen Gefilden gleichenden Rhein-Main-Gebietes. Im Norden vom malerischen Taunusgebirge sinnbildlich zart in Watte gebauscht vermagst du allen schauderhaften Wettern stolz erhobener Skyline zu trotzen. Frankfurt, du gülden in der Abendsonne schimmerndes Kleinod, deine Lichter brechen sich in tausenden spiegelnden Facetten erhobener Bauten und modischen Palästen; düstere Gässchen und vom frühnächtlichen Treiben erfüllte Plätzchen behaglich erhellend. Du bist das erstarkte Herz der europäischen Währung, Sitz der Frankfurter Wertpapierbörse mit knappen 3,8 Billionen Euro Durchsatz (anno 2005). Regionales wie globales Dorado zugleich, Bühne geschäftigen Handelns und kultureller wie geistiger Mittelpunkt im Zentrum Europas.
Fremde und Einheimische zugleich verfallen im Nu deinem urigen, betörenden Charme; dem unsichtbaren Teil der Schönheit, ohne den niemand wirklich schön sein kann. Festivitäten drücken sich gegenseitig die Klinke in die Hand; Museumsuferfest folgt auf Mainuferfest folgt auf Bahnhofsviertelfest folgt auf Altstadtfest. Messen, Festivals, Kongresse und kulturelle Veranstaltungen bieten Zerstreuung und Garantie auf glückseliges Gaudium. Du bist ein Ort, der niemals schläft; welcher feierfreudigen und dem Kaufrausch verfallenen Personen gleichermaßen 24 Stunden am Tag erstklassige Betätigung darbietet.
O holdes Frankfurt, du moderne, weltoffene und prosperierende Stadt. Einst stark gebeutelt und wiederholt auf die Probe gestellt, entstiegst du eines goldenen Phönix gleich den rauchenden Ruinen deiner jüngeren Vergangenheit und stelltest dich in der inspirierenden Pose siegreicher Feldherren der ungewissen Zukunft. Wiedererbaut aus reinem Glas und schillernden Edelstahl vermagst du ihr erhobenen Hauptes und würdevoller denn je zuvor von oben herab stechenden Blickes in die Augen zu gucken. O Frankfurt, du toleranter Schmelztiegel exotischer Kulturen und fremdartiger Nationalitäten, ideeller Religionen und ausgelebter Sexualitäten – dank deiner Dominanz als globales Drehkreuz pulsiert stetig ein hierzulande seinesgleichen suchendes, weltumfassendes Publikum durch die lichten und ästhetisch gepflegten Blutbahnen deines heimelig wärmenden Stadtkörpers und verbreiten ein erquickend aufregendes Flair. Deine nicht amtliche Bezeichnung als kesses Mainhatten stammt nicht von ungefähr.
Aufmerksamen Zuhörern vermagst du gar den verblüfften Eindruck zu vermitteln, asiatische Laute, arabische Dialekte und Englisch seien noch vor Deutsch die hier vorherrschenden Sprachen; eine zugleich faszinierende wie sexy Eigenschaft deiner selbst. Teure Einkaufspassagen und luxuriöse Boutiquen schmücken deine schmucken Flaniermeilen; gespickt mit noblen Restaurants aus allen Herren Ländern. Elegante Wohnresidenzen, postmoderne Plazas und behagliche Parks durchweben deine bunte Bebauung und bieten ein mannigfaltiges Forum für harmonische Treffen, feixende Arrangements und reizende Techtelmechtel. Dein extrovertiertes Wesen misst sich an internationalen Standards – und doch oder gerade aufgrund dessen meisterst du zugleich den schwierigen Spagat, deine kantigen, urhessischen Eigenschaften beizubehalten. Du bist die Manifestierung von Supergeil, die Ausgeburt von Knorke, die Inkarnation von Schnieke. O ja, liebstes Frankfurt, du bist wahrlich und in der Tat …
… eine benutzte, dreckige Nutte!
Denn bereits auf dem zweiten Blick offenbarst du dein wahres Gesicht, die Schattenseiten deiner verschmitzt grinsenden Fratze. Versiffte Häuser und vermüllte Straßen durchziehen wuchernden Krebsgeschwüren gleich deinen malträtierten Körper; durchzogen von Heerscharen kaputter, ge- und erbrochener Menschen. Mockende Obdachlose und penetrante Schnorrer belagern deine schummrigen Nischen und Eingangsbereiche; Pulks abstoßender Bettlerbanden aus dem Osten strecken ahnungslosen Touristen und gesitteten Einheimischen verstümmelte Glieder und krakelige Bettelbriefe entgegen. Gar wütend anmutende Mobs unbegabter Straßenmusikanten schrammeln bar jeglicher Rücksicht auf Bedürfnisse und Wünsche der menschlichen Umwelt nervtötende Musik durch deine stinkenden, von Staus durchzogenen Gassen – und weiten jene Schmarotze mit Freude auf überfüllte, stickige S- U- und Straßenbahnen aus. Mehr noch, selbst in verwahrlosten Fast-Food-Restaurants werden dem gierig Burger vertilgendem Volk wimmernde Bittschriften und dreckige Schilder unter die Nase gehalten, beflissen erpicht darauf, hie und da einen weiteren blanken Euro zu ergaunern.
Glanz und Glorie deiner selbst stellen allemal brüchige Fassaden dar; du bist nicht das, was du händeringend zu sein versuchst. Notorischen Starrsinns sei dank versuchst du, städtebauliche Historie und Moderne in mondänen Einklang zu bringen – und versagst in eben jenem Streben kapital auf ganzer Linie. Wie Abszesse erstrecken sich lärmende Baumaschinen und Kräne durch deine morbiden Eingeweide, generieren massig Dreck und Staub; planieren erbärmliche Bauruinen und ersetzen sie durch vorsätzliche Schändungen guten Geschmacks. Andere Städte lernten aus ähnlichen vergangenen Fehlern, doch du machst munter weiter – wenn einer keine Angst hat, hat er keine Fantasie. Dir fehlen Esprit, Persistenz und Treue; dadurch wirkst du kühl und abweisend. Ambiente und Seele deines leidenden Ideals sind unwiederbringlich auf alle Zeiten verloren.
O krankes Frankfurt, dein Hauptbahnhofviertel, Einfallstor zahlloser gruseliger Gestalten und Millionen gehetzter Touristen in die Stadt, gleicht einer evolutionär zurückgeblieben Slumkloake. Nicht nur des nächtens, nein, gar rund um die Uhr wabern uringetränkte Schwaden zwischen den grauen und heruntergekommen, aus besseren und vom Brutalismus geprägten Zeiten stammenden Bausubstanzen. Arglose Gäste geraten in das perfide Visier des schauerlichen Bodensatzes unserer Gesellschaft; schmierige Händler unternehmen oftmals erfolgreiche Versuche, ihre mindere Waren lauthals lobzupreisen; hartnäckig feilschend, verfolgend, nervend und störend. Deine dauerpenetrierten Öffnungen gebären an jedweder Ecke deines geschundenen Leibes Schlampen, Koks und Weed – günstiger und gestreckter noch denn zwischen den RTL-Unterschicht-Plattenbauten Berlins. Professionelle Prostituierte, teils adrett und ungemein höflich, teils abstoßend und mürrischer Natur, flankieren Gossen und Grünflächen; von der günstigen Flatratestute bis zur dekadenten Edelnutte wartest du mit allen nur erdenklichen horizontalen Dienstleistungen auf.
Dabei regiert abseits jenes unprivilegierten Gesocks das große Geld die Stadt; schnöder Mammon in Vollendung. Hier gilt die Devise: Wenn’s um Geld geht, gibt’s nur ein Schlagwort: Mehr! Würde und Meinung des einzelnen Durchschnittsbürgers verblassen im Angesicht der Übermacht deiner gesegneten Finanziere, Geld regiert deine kleine, scheinheil(ig)e Welt. Frankfurt, Stadt der perversen Kontraste: Exquisite Clubs florieren neben heruntergekommenen Döner-Kaschemmen; preiswerte Stundenhotels (welche meiner Erfahrung nach jedoch durchaus ihren ganz eigenen Reiz innehaben) vermodern gegenüber prachtvollen Sternepalästen. Ganz recht, zum Reichtum führen viele Wege, und die meisten von ihnen sind schmutzig. Niedrig verdienende Menschenmassen stürmen gierig gen Primark, um für ‘n Appel und ‘n Ei kiloweise Billigstklamotten zu ergattern, derweil gut betuchte Banker und Konsorten tütenweise auserlesene Unikate aus Luxusboutiquen schleppen lassen. Die gekonnte Trennung zwischen Arm und Reich gehört in deinen Straßen zum guten Ton; die Siffigen vermehren sich wie Karnickel und vegetieren ihr nutzloses Leben, derweil sich die Schönen und Reichen schampusschlürfend abgrenzen.
O Frankfurt, wohl wahr – du bist ein Tummelplatz sozialer Perversionen. Menschlichen Abschaums. Schund und Willkür schimpfen sich deine Regenten; du bist der ultimative Inbegriff städtischer Kaltherzigkeit. Mir fehlen die Kraft und der Mut, dein Herz und deinen Körper ohne Ekel zu betrachten.
Frankfurt, du bist eine benutzte, dreckige Nutte!
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