Ich

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Sagen Sie mal, in welcher Parallelwelt lebe ich eigentlich?

Mein derzeitiges Leben verläuft in etwas so: Ich chille. Genieße mein Leben. Gehe feiern. Shoppe bis zum umfallen. Trinke bis zum Selbigen. Lerne unser Heimatland und seine Mitmenschen kennen. Knüpfe Freundschaften und – lebe!

Dabei bin ich dazu weder privilegiert noch hochgebildet, mitnichten! Ich besuchte eine staatliche Realschule, schloss diese erfolgreich ab – und das war es in etwa auch schon. Anschließend wagte ich zwar noch einen Einstand in die Fachoberschule – im Technisch-Mathematischen Zweig. Was allerdings nicht meine brillianteste Idee war. Den Besuch dieser Schule brauch ich aufgrund gravierender Depression bereits nach einem halben Jahr ab. Daraufhin folgten eine Ausbildung zum Mediengestalter in Fachrichtung Digital- und Printmedien sowie zum Fachinformatiker in Fachrichtung Anwendungsentwicklung. Und auch diese beiden beendete ich relativ abrupt kurz vor Schluss.

Fakt ist: Ich bin mir bis zum heutigen Tage im Unklaren, was ich eigentlich will. Nicht nur aus beruflicher, sondern aus allumfassender Sicht.
Meine derzeitige Situation – ich bin unabhängig und Selbstständig – ist in ihrer grundlegenden Substanz auch nicht das, was ich will.

Eigentlich, so fühle ich, will ich reisen. Unabhängiger sein, als ich sowieso bereits bin. Von allem. Auch von Geld. Ich will als Reisender die Welt kennenlernen, leben! Ohne Zwang und ohne Verpflichtungen. Ich sehne mich nach absoluter Freiheit. Nach noch mehr Freiheit, als ich bislang erreichte. Zugleich will ich aber nicht zu einem grenzdebilen, barbärtigen Weltenbummler mutieren. Wohl wahr, ich will um die Welt reisen. Menschen kennenlernen. Kulturen erleben. Die Schönheit unseres Planeten mit eigenen Augen schauen. Einfach meine Umwelt sehen, und zwar von mir selbst heraus. Auf Augenhöhe der Bevölkerung. Ich will mir fremde Mentalitäten aneignen, von A nach B ziehen, Freundschaften gewinnen – vielleicht sogar mal kochen lernen 🙂

Vielleicht empfinde ich so, da ich mich seit Urzeiten auf der Suche einer für mich passenden Heimat befinde. Und einer dazugehörigen Familie. Diese Wünsche sind psychologisch gesehen tief in mir verankert. Und ich sehne mich nach einem Sinn, ja, einem Grund. Wie eigentlich jeder.

Möglicherweise will ich daher auch nur auf Reisen gehen, um dann irgendwann und irgendwo spontan einen Sinn für mein Leben zu entdecken. Sinn, Heimat und Familie. Dies sind drei Dinge, die mir abhanden gekommen sind respektive die ich Gefühle niemals besaß.

Ma mag mir entgegnen, dass ich für mein junges Alter bereits vieles erreichte – auch, was meine Lebenserfahrungen betrifft. Diese Entwicklungen passierten allerdings alle erst nach meinem Selbstmord am 06. April 2010. Einem düsteren Kapitel. Besagten Selbstmord überlebte ich aus unergründlichen Gründen, dennoch war er rückblickend ein erfolgreicher Selbstmord. Metaphorisch gesehen. Kein vollständiger. Aber einen Teil meines ichs tötete ich in jener Nacht. Ich löste mich von meinem bisherigen Leben. Und fing einem Kleinkind gleich bei nahezu Null an.

Daher feier ich meinen Selbstmord seitdem jedes Jahr, dieses Jahr folgt der zweite zweite Geburtstag, nächstes Jahr der dritte zweite.

Dennoch existiert in mir weiterhin eine beängstigende Leere. Ich habe das Gefühl, einiges, aber dennoch weniger LEBENSWERTES als die meisten anderen zu besitzen. Ein lieber Mensch, der mir half, meinte einmal, ich wolle aus meinem Leben ausbrechen, um vor meinen eigenen Problemen zu fliegen. Respektive um diese wie gewohnt erfolgreich zu verdrängen. Dies war allerdings vor meinem Selbstmord – ich habe meine Situation dann wohl anders gelöst, als sich das besagter Helfer jemals erdachte. Krasser. Typisch für mich. Seitdem hat sich wie bereits erwähnt so unendlich viel geändert. In mir. An mir. Mit mir.

Ich erkenne mich im Vergleich zu früher nicht wieder. Und ich habe aufgrund meiner bis heute andauernden Aufarbeitung meines alten Lebens mit vielem abgeschlossen, vieles geklärt. Und kann daher nun getrost von hier loslassen und auf die Suche gehen.

Erst wenn du alles verloren hast, hast du die Freiheit, alles zu tun. Heißt es in Fight Club. Sicher, das Zitat ist hier nun nur tendenziell passend, aber trotzdem ein verdammt guter Spruch.

Ich weine ja auch bekanntlich viel. Eigentlich nahezu jeden Tag. Aufgrund berührender Szenen im Fernsehen, emotional aufwühlender Songs oder trauriger Gedanken. Vor allem Letztere stellen einen wichtigen Grund dafür dar. Ich kapituliere vor den Entwicklungen unserer Welt, wie sie heute ist. Weil ich überall und Leid und Probleme sehe. Und überall gleichzeitig helfen will, aber nicht weiß, wie und wo.

Realistisch betrachtet schaut unsere Zukunft mehr als düster aus. Was unserer Welt fehlt, sind grundlegende Änderungen im Handeln und Denken der Menschheit. Tiefer gehende Veränderungen. Durch alle Gesellschaftsstrukturen und Lebensbereiche. An der Wurzel allen Seiens, wo auch immer sich diese befinden mag. Vielleicht besteht mein Sinn des Lebens ja darin, dass ich irgendwann einmal ein seltsamerweise extrem kluges Manifest verfasse, welches künftigen Generationen helfen wird, die Menschheit auf eine völlig neue, vereinte Ebene zu katapultieren. Und um dann globale Probleme, wie wir sie heute kennen, gemeinsam zu lösen. Oder so.

Mir fehlen auch Mitmenschen, mit denen ich über meine Gedanken und Sehnsüchte reden kann. Menschen, die auf mich eingehen (können). Die mich nachvollziehen können. Mit denen ich frei debattieren kann. Aber auf eine andere Art und Weise. Eine, deren Beschreibung mir unglaublich schwer fällt, und die bisher erst ein einziger Mensch aus meinem Leben beherrschte.

Jedoch meine ich damit kein philosophisches Um-den-Brei-Gerede. Realismus im Gespräch ist das A und O. Ich behaupte hier nun einfach einmal von mir selbst, dass ich viel weiß. Sehr viel. Statement! Und dass ich zu verstehen glaube, wie das globale Gefüge funktioniert. Wie und warum Menschen so handeln, sie wie handeln, wie sie denken und was sie empfinden. Wurde einst gar von einem Psychologen bestätigt, bevor dieser weinend die Sitzung verließ 😀

Ich bin hochbegabt. Das ist Fakt. Und ich glaube zu wissen, wie Menschen denken. Respektive ich kann das sehr gut einschätzen und nachvollziehen – und gewisse Reaktionen daher auch potentiell vorausahnen. Ich weiß, wie die Fäden im globalen Gefüge gezogen werden bzw. welch komplexe Systeme dahinter stecken. Und mir fehlt jemand, mit dem ich Dinge wie diese besprechen kann. Jemand, der ähnlich wie ich denke.

Stichwort Denke. Wenn ich einen Begriff wahrnehme, etwas aufschnappe – dann ergibt dieser kleine Input binnen Bruchteilen einer Sekunde eine gigantische Explosion in meinem Kopf. Mir gehen dann Tausende Möglichkeiten und Kombinationen durch den Kopf. Exponentiell gesehen. Ein Begriff ruft zehn gedankliche Abzweigungen hervor, von denen jede wiederum zehn weitere hervorruft – und so weiter. Diese sind dann untereinander zusätzlich verstickt und verbunden, besitzen Abhängigkeiten und/oder bauen aufeinander auf. Das ist unter anderem einer der Gründe, warum ich z. B. mit simplen Aufgaben oftmals überfordert bin. Und schon immer war, was sich in Stress und Frust in Schule und meiner bisherigen Arbeitsstelle widerspiegelte. Nicht, weil ich eine an mich gerichtete Aufgabe nicht lösen kann, sondern, da ich durch die schier unendliche Fülle an Möglichkeiten und Optionen innerlich erdrückt werde.

Seit meinem Selbstmord habe ich ein bisschen gelernt, meine eigenen Denke besser zu koordinieren. Auf das Wesentliche zu konzentrieren. Sinnvoll abzuwägen. Und manche Dinge einfach zu tun (ein Aspekt, welchen ich im Tu-es-Prinzip näher erläutere). Ich entscheide, ohne ewig darüber nachzudenken oder gar zu grübeln. Sonst wäre ich nicht fähig, weiter zu über- und zu leben.

Schon seltsam, dieser Moment hier. Ich erzähle eigentlich nie etwas über mich selbst. Natürlich rede ich Tag ein Tag aus irgendwelche belanglosen Dinge. Aber von meinem Innersten erzähle ich nie. Nicht aus Gründen wie früher, also dass ich Angst hätte, eine wunde Stelle zu offenbaren, an der ich angreifbar bin. Sondern aus dem Grunde, dass mich meine eigene Geschichte herunter zieht und zum weinen bringe. Extrem emotionaler Stoff ist das hier.

Ich will hier mit meiner Erzählung weder Trost noch Mitleid ernten. Oder gar manipulieren. Diese Zeiten sind vorbei, diesen Krony habe ich getötet. Meine Wandlung ging so weit, als dass ich heute die Person bin, die andere Menschen mit Problemen hilft und unterstützt. Ich sage chackaa, motiviere, versuche, das jeweils eigene Selbstwertgefühl zu steigern. Ich höre zu, lerne die Lebensgeschichten anderer kennen, tröste – biete aber auch keine Lösungen an. Sondern sinnvolle Denkansätze. Damit die Lösungen oder Eingebungen von selbst kommen und sich anschließend wirklich etwas bewegt. Dass das funktioniert und sich Menschen aufgrund meines Wesens krass verändern können, hatte sich in der Vergangenheit schon mehrfach gezeigt. Leider auch im negativen Sinne, was ein Faktor war, der in letzter Instanz zu meinem Selbstmord führte.

Vor meinem Selbstmord (welch fieses Wort eigentlich) war ich, nun, alles andere als emotional. Ein kaltherziger Roboter. Ein sich selbst verachtender, stiller, trauriger, in sich gekehrter Eisberg. Mit Sanksackwällen, Minengürteln und Selbstschussanlagen darum herum, wenn man so will. Ich war eine uneinnehmbare Festung, gehüllt in einem Nebel aus Lügen und Geschichten. Ich belog nicht nur meine Umwelt ob meines Lebens und meiner Gedanken, sondern primär mich selbst. Ich hatte panische Angst, dass mir irgendwer etwas antun könne. Ich lernte, Menschen zu verstehen, zu lenken und manipulieren. Um ihnen in meiner Panik immer einen Schritt vorraus zu sein.

Ich schlüpfte in theadralisch perfekt einstudirte Rollen. Um anderen Menschen herunterzuziehen und mich an deren Leid zu ergötzen. Daniel, eine der liebsten, gutherzigsten und interessantesten Persönlichkeiten, die ich jemals kennenlernen durfte, musste einst besonders unter meiner Art leiden. So krass, dass ich ihn fast selber in den Tot zog. Ein dunkles Kapitel meines Lebens, vor dem ich mich fürchte und für das ich mich schäme. So tief ward ich einmal gesunken. Ich erkenne mein früheres Ich nicht wieder.

Ich zeigte keine Emotionen, und wenn doch, dann waren diese perfekt einstudiert. Rollen spielen, Lügengestricke weben, Gedankenkonstrukte ausbauen. So sah mein Leben aus. Meine gespielten Rollen waren zudem doppelt und dreifach abgesichert, jede Lüge mit anderen Lügen verstickt – und zwar auf die perfideste und perfekteste Art und Weise. Meine inneren Emotionen verstaute ich hinter einem gigantischen Staudamm. Über mehr als 10 Jahre hinweg. Bis dieser schließlich zu voll war und aufgrund eines letzten Tropfens – Daniel – brach. Was, um das noch einmal zu erwähnen, im Selbstmord endete.

Womit dieses gedankliche herumkreisen für heute enden sollte. Ich werde wohl irgendwann einmal niederschreiben, wie ich einst war. Und wie es dazu kam.

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